Ein Ex-Banker der UniCredit sagt die Wahrheit

Im September 2007 trat ich von meiner Position als Risiko-Manager der UniCredit Bank Irland zurück. Ich tat dies, um mich nicht selber strafbar zu machen. Ich habe die letzten 3 Jahre damit verbracht, Gerechtigkeit einzufordern. Am 23. Februar 2010 konnte ich zu meiner Freude erleben, dass Senator David Norris das Thema im irischen Senat aufgriff und von Finanzminister Brian Lenihan eine Antwort einforderte. Senator Norris schloß seine Ausführungen mit den Worten:

"... hier liegt ein klarer Fall ministerieller Verantwortung vor. Es handelt sich um eine sehr ernste Angelegenheit, welche der Finanzaufsichtsbehörde gemeldet worden war. Ein Mann hat in der Folge seinen Job verloren. Er ist ehrenvoll aus seinem Dienstverhältnis geschieden. Der Grad der Verletzung war 40-mal so groß wie die akzeptierte maximale Normabweichung. Das ist eine Katastrophe. Wenn wir nicht bereit sind, dieses nunmehr dem Parlament vorgelegte Problem zu untersuchen, dann gibt es absolut keine Hoffnung mehr für unser Finanzsystem und seinen Ruf auf der ganzen Welt.
Ich habe sehr klar dazu aufgefordert, dass diese Angelegenheit untersucht werden sollte. Wie kann die Finanzaufsichtsbehörde sich selbst überprüfen? Sie hat ihre Aufsichtspflicht verletzt. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist der, dass die Bank verfolgt werden muss und dass die Ehre des Mannes, dessen Ruf in den Schmutz gezogen wurde, wiederhergestellt werden muss. Es ist wohl nicht zu viel, dieses Parlament zu entsprechenden Schritten aufzufordern. Ich möchte, dass damit noch heute Abend begonnen wird."
http://debates.oireachtas.ie/seanad/2010/02/23/00012.asp

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VRT, der Flämische Rundfunk in Belgien, strahlte dieses Interview mit mir am 06. März 2013 aus (ab Minute 27):

ET3, der Griechische Rundfunk, zeigte dieses Interview mit mir am 27. November 2012:

ABC TV (Australien) brachte ein Interview mit mir in einem Dokumentarfilm über UniCredit, UBS und Société Générale im November 2011:
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Wednesday 13 March 2013

Geständnis eines Bankers - Kathimerini, Griechenland, 10 Feb. 2013

Im September 2007, also 15 Monate vor der irischen Banken-Rettungsaktion, kündigte Jonathan Sugarman, damals Risikomanager bei der UniCredit Bank Irland, seinem Dienstgeber, nachdem er herausgefunden hatte, dass die Bank sich nicht an die von der Irischen Zentralbank vorgeschriebenen Mindestliquiditätsanforderungen hielt. Seit fünf Jahren bemüht es sich nun bereits vergeblich, zu seinem Recht zu kommen.

Die Geschichte des Bankers Jonathan Sugarman ist kaum bekannt. Wenn man seinen Blog liest (whistleblowerirl.blogspot.com), würde man denken, dass es dabei um einen kürzlich von Hollywood produzierten Wirtschafts-Thriller handelt. Ein Angestellter findet heraus, dass seine Bank sich nicht an die Finanzgesetzgebung des Staates hält. Er zeigt dies den Behörden an. Daraufhin kündigt er. Und danach? Jetzt könnten ganz unterschiedliche Drehbuch-Szenarien einsetzen. Wird die Bank ihn verklagen? Oder ihn in den Selbstmord treiben? Wird der einstige 'Golden Boy' sich zu einem Don Quixote verwandeln, der die Welt von den "bösen" Banken retten möchte? In Wirklichkeit spielt das Leben noch viel phantasiereicher als ein Drehbuch. Was nämlich tatsächlich passierte ist, dass die irischen Banken ein Jahr, nachdem Jonathan Sugarman, der heute 42 Jahre alt ist, seinen Job bei der UniCredit Bank Irland wegen der zweifelhaften Integrität seines Arbeitgebers aufgegeben hatte, sich in einer derartigen Schräglage befanden, dass sie auf staatliche Garantien zurückgreifen mussten.


Fünf Jahre danach, nachdem ihn die Bankwelt de facto aus ihren Reihen gebannt hatte, kämpft Sugarman weiterhin mit den Folgen der ungerechtfertigten Heimsuchung, in die er hineingeraten war. Er schreibt und macht Vorträge. Er versucht, die Öffentlichkeit gegenüber einem Finanzsystem und einer Politik aufzurütteln, welche die persönliche Verantwortung ignorieren und jene, die die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise mit herbeigeführt haben, einfach ungestraft davonkommen lässt. Wir trafen ihn in Athen während eines Besuchs in unserem Land.

Kürzlich haben Sie in Griechenland ein paar öffentliche Vorträge über Fragen des Bankensystems gehalten. Warum interessieren Sie sich für unser Land?
Um ganz ehrlich zu sein, es waren eigentlich die Griechen, die sich für mich interessierten. Vielleicht verstanden es dort einige Leute, dass ich als Risk Manager tätig war und dass es somit meine Aufgabe war, darauf zu achten, dass die von meiner Bank verwalteten Geldbeträge stimmten. Diese Leute wandten sich an mich, und zwar vermutlich deshalb, weil sie sonst niemanden kannten, der die Öffentlichkeit darüber aufklären hätte können, was die Aufgabe eines Risk Managers ist. Im Juni 2011 bot mir jemand an, meinen Blog ins Griechische zu übersetzen, und seitdem verfügte ich plötzlich über etliche Kontakte mit Griechen aus allen Lebensbereichen, darunter viele besorgte Bürger und Wissenschaftler.

Können Sie uns bitte mit einfachen Worten erklären, was die Aufgabe eines Risk Managers ist?
Ich versuche, das mit einem einfachen Bild darzustellen. Wenn die Bank ein Auto wäre, dann ist der Risk Manager der Lenker und die Zentralbank so etwas wie die Straßenpolizei. Ein Autofahrer darf nicht das vorgeschriebene Tempolimit überschreiten. Wenn das Tempolimit 100 km/h beträgt und der Fahrer fährt 120 km/h, dann bekommt er eine Geldstrafe. Ebenso verhält es sich bei der Bank, wo der Risk Manager dafür verantwortlich ist, dass eine bestimmte Mindestliquidität eingehalten wird. Mit anderen Worten, er hat darauf zu sehen, dass entsprechend viel Geld hereinkommt - Einlagen zum Beispiel -, wenn auf der anderen Seite Geld hinausgeht - etwa in Form von Darlehen oder anderen Bankprodukten. Die Mindestliquidität, welche die Banken jeweils einzuhalten haben, wird in jedem Land von der Zentralbank festgelegt. In Irland zum Beispiel lag dieses Minimum bei 90%. Wenn eine Bank dieses Minimum unterschreitet, wäre sie straffällig geworden. Darüber hinaus drohen dem Risk Manager und dem Geschäftsführer bis zu fünf Jahre Gefängnis.

Wann sind Sie dahinter gekommen, dass ihre Bank, die UniCredit, ein Liquiditätsproblem hatte?
Das war bereits in den ersten Wochen der Fall, nachdem ich meinen Dienst bei der Bank antrat; es herrschte dort nämlich eine chaotische Situation. Einige Tage bewegten wir uns im Rahmen des gesetzlich vorgeschriebenen Limits, an anderen Tagen gingen wir deutlich darüber hinaus. Der Geschäftsführer und die anderen Manager ignorierten am Anfang einfach meine Bedenken. Sie erklärten mir die Sachlage so, dass es technische Probleme mit unseren Informationssysteme gebe und dass unsere Liquidität überhaupt kein Problem darstelle. Und es hieß, dass ich diese Probleme nicht verstehen würde, weil ich neu dieser Sparte sei. An den Tagen, an denen wir das Liquiditätslimit unterschritten, wurde dies in unseren Tagesreport damit erklärt, dass es technische Probleme gegeben habe, und natürlich wurde in keinem Fall die Finanzaufsichtsbehörde informiert, wie dies eigentlich der Fall hätte sein müssen. Nach wiederholten Verstößen gegen das gesetzliche Limit erklärte ich gegenüber dem Geschäftsführer, dass ich nicht die Absicht hätte, so zu tun, als ob ich blind wäre, und dass wir einen formellen Bericht an die irische Zentralbank schicken müssten. Dazu kam es dann auch Ende Juli dieses Jahres: ich selber überbrachte den formellen Bericht über eine erfolgte Liquiditätsverletzung ins Büro der Finanzaufsichtsbehörde. 

Gab es dann für die Bank irgendwelche Sanktionen?
Es gab überhaupt keine Reaktion. Und das, obwohl wir das gesetzlich vorgeschriebene Mindestliquiditätslimit um 20 % unterschritten hatten, während wir dem Gesetz nach bereits bei einer Unterschreitung von einem Prozent der Meldepflicht unterlagen! In anderen Worten, ich gestand gegenüber der Bankpolizei, dass ich das Gesetz gebrochen hatte, doch die Finanzaufsichtsbehörde reagierte derart, dass sie - anstelle die Bank einer gründlichen Überprüfung zu unterziehen - uns in einem Schreiben lediglich mitteilte: "Nachdem Sie uns bestätigt haben, dass die gesetzwidrige Vorgangsweise eingestellt wurde, sehen wir keinen weiteren Anlass zum Einschreiten."

Was haben Sie daraufhin unternommen?
Ich habe versucht herauszufinden, worin eigentlich diese technischen Probleme bestehen sollte. Das Informationssystem ist so etwas wie die "Bibel" einer Bank. Eine Bank führt ihre Konten heute nicht mehr auf losen Papierblättern. Wenn wir unserem Informationssystem und den von ihm ausgegebenen Ergebnissen nicht mehr trauen konnten, dann wären wir auch nicht in der Lage zu wissen, ob die Bank mit ausreichender Liquidität ausgestattet ist oder nicht. Ich entschloss mich daher, mich an ein Unternehmen zu wenden, das sich auf Bank-Informationssysteme spezialisiert hatte.

Was war das Ergebnis dieser Überprüfung?
Sie drittem ich eines Nachts im September 2007 zuhause an. "Sie haben sich darüber beschwert, dass in Ihrer Bank die Liquidität auf 70 % abfallen würde", erklärte sie mir. "Die Liquidität Ihrer Bank beträgt aber tatsächlich nur 50%!" Am nächsten Morgen ging ich zum Geschäftsführer und reichte meine Kündigung ein.

Was war denn eigentlich die Ursache der niedrigen Liquidität?
Ich vermute, dass unsere Aktivitäten nicht korrekt bilanziert wurden. An einigen Tagen wurde korrekt bilanziert, an anderen wiederum nicht.

Wenn die Ursache aber wirklich ein technisches Problem war und nicht irgenwelche betrügerische Transaktionen oder Hochrisiko-Geschäfte, warum haben Sie dann das Problem nicht selber gelöst, statt die Kündigung einzureichen?
Die Tatsache, dass ein solches Problem überhaupt vorliegen konnte, zeigt bereits, wie sehr das gesamte System für betrügerische Manipulationen anfällig ist. Die jüngsten Skandale mit nicht-autorisierten Transaktionen von Händlern in den Londoner Büros der Schweizer Großbank UBS oder der Société Générale in Frankreich belegen genau diese Tatsache. Wenn die Bank am nächsten Tag illiquid gewesen wäre, dann wäre ich dafür verantwortlich gewesen und hätte dem Gesetz nach mit fünf Jahren Gefängnis rechnen müssen. Dazu habe ich natürlich keine Lust.

Glauben Sie denn, dass Sie der einzige waren, der so reagiert hatte?
Die Banken arbeiten offenbar im straffreien Raum. Wie wir in der Zwischenzeit gesehen haben, geht die Führungsspitze der Banken davon aus, dass sie niemals strafrechtlich zur Verantwortung gezogen würde. Vielleicht hat es nichts zu bedeuten, aber es ist ein Fakt, dass der Vorsitzende des Verwaltungsrats der UniCredit Irland ein ehemaliger Abgeordneter der gleichen politischen Partei war, von der Irland damals regiert wurde. Später, nachdem ich in meine Kündigung eingereicht hatte, wurde er Mitglied des Verwaltungsrats der Irischen Zentralbank. Ich frage mich natürlich, wie die Zentralbank in unparteiischer Weise eine Bank überprüfen soll, deren Ex-Vorsitzender nunmehr im Verwaltungsrat der Zentralbank sitzt?

Damals hieß es, Irland sei der Wilde Westen der Europäischen Union. War das zutreffend?
Irland war ein sehr attraktiver Ort für Banken und multinationale Konzerne wegen seines extrem niedrigen Körperschaftssteuersatzes, der nur 10% betrug. Banken konnten dort Tochtergesellschaften errichten, welche der Kontrolle der Irischen Zentralbank unterstanden (oder vielmehr, wie sich später herausstellte, von dieser gar nicht kontrolliert wurden). Die Muttergesellschaften aller dieser Banken waren eben die großen europäischen Banken. Wenn eine irische Filiale über zu wenig Bargeld verfügte, so rief sie eben bei der Muttergesellschaft in Frankfurt oder Rom an, um wieder für Liquidität zu sorgen. Alles lief wie am Schnürchen, oder so schien es wenigstens! Die jeweilige Muttergesellschaft hatte zudem anlässlich der Gründung ihrer Filiale in einem formellen Schreiben gegenüber der irischen Zentralbank erklärt, dass sie für die Tätigkeiten ihrer Filiale die Haftung übernehmen werden. Somit hatte die Zentralbank auch keine Veranlassung, sich gegenüber den Filialen allzu streng zu verhalten.

Warum wandte sich dann eine Ihre Bank, die UniCredit, nicht an die Muttergesellschaft, als es klar wurde, dass ihr das Bargeld ausgegangen war?
Wenn der Geschäftsführer sich an seinen Kollegen in Mailand gewandt hätte und ihm erklärt hätte, dass ihm das Geld ausgegangen sei, dann wäre er zunächst einmal gefragt worden: "Wieso? Sind sie nicht imstande, Ihre Bank richtig zu führen?" Es war ganz offensichtlich, dass niemand bei der Muttergesellschaft anrufen wollte, um zu sagen, dass etwas schief gelaufen sein. In der Theorie könnte ein Liquiditätsproblem nämlich in fünf Minuten behoben werden. Aber wie sollte man es rechtfertigen, dass man bei einer Liquidität von unter 70% angelangt sei, wenn das Gesetz eine Mindestliquidität von 90% vorsieht? Hätte ein Geschäftsführer etwas Derartiges zugestanden, dann hätte er damit seinen Bonus aufs Spiel gesetzt!

Und was war die Reaktion der Muttergesellschaft, als Sie die Kündigung einreichten?
Es gab überhaupt keine Reaktion. Drei Jahre später brachte Senator David Norris dann meinen Fall im irischen Senat vor. Erst im Anschluss daran gab es mehrere Anfragen von Journalisten an das Mutterhaus der UniCredit in Mailand. Das Mutterhaus der UniCredit erklärte damals, man hätte mit der Angelegenheit überhaupt nichts zu tun. Man tat entweder so als ob man nichts wüsste, oder aber man wusste tatsächlich nichts. Es schien mir so, als ob Tochtergesellschaft in Dublin das Mutterhaus überhaupt nicht informiert hätte. Oder, was noch schlimmer wäre, dass die Irische Zentralbank die Banca d'Italia - also die Italienische Zentralbank - überhaupt nicht informierte.

Ihrer Meinung nach wusste also die Italienische Zentralbank davon?
Ich kann diese Frage nicht beantworten. Wenn Sie auf diese Frage eine Antwort möchten, fragen Sie am besten Mario Draghi, der damals der Gouverneur der Banca d'Italia war. Es ist an sich eine sehr einfache Frage: "Wussten Sie, als Sie Gouverneur der Italienischen Zentralbank waren, dass die größte Bank Ihres Land nicht darüber Bescheid wusste, was bei ihrer irischen Tochter passierte? Und wie erklären Sie es sich, wenn Sie nicht darüber informiert wurden?"

Glauben Sie, dass die irischen Banken aus ähnlichen Gründen illiquid geworden sind?
Ein Jahr nach meiner Kündigung musste die irische Regierung binnen einer einzigen Nacht eine Garantieerklärung für sämtliche Banken abgeben. Vielleicht hatten sie nicht alle exakt die gleichen Probleme, aber schließlich läuft das auf das gleiche hinaus. Ich frage mich natürlich, was aus all den Risikomanagern dieser Banken geworden ist?

Ja, was ist aus ihnen geworden?
Sie halten im Augenblick alle sehr stille.

Und wie ist das Ihrer Meinung nach überhaupt möglich?
Es ist ein Bestandteil jener "großen Lüge", mit der wir alle konfrontiert sind. Niemand will der erste sein, der das Problem zugibt. Aber selbst wenn wir die Leistung eines bestimmten Risikomanagers nicht im einzelnen hinterfragen wollen, so verfügt das Bankensystem immer noch über eine Reihe anderer Kontrollmechanismen. Dazu gehören die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, welche die jährlichen Abschlussberichte der Banken gegenzeichnen müssen, sowie die Finanzaufsichtsbehörden, also die Zentralbanken.

Sie sind also der Meinung, dass nicht nur die Banken allein schuld seien?
Es kann einfach nicht so sein, dass keinen Banker dabei eine Verantwortung trifft. Es gibt eben Leute, die verantwortlich dafür sind und Dokumente unterzeichnen, wonach alles gesetzeskonform wäre. Jede Bank hat mindestens einen Risikomanager, jede Bank hat mindestens einen Wirtschaftsprüfer; und jede Bank hat eine externe Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Jedes Land hat eine Zentralbank, so wie eben in Irland die Central Bank of Ireland. Daher gibt es ganz bestimmte Personen, die dafür verantwortlich sind, dass die Banken in Irland unterkapitalisiert waren, und diese Menschen haben einen Vor- und Zunamen. Wir können nicht sagen: "Es ist einfach passiert!" oder "Papa, mein Spielzeug ist kaputt! Wer hat es denn kaputtgemacht? Ich weiß es nicht, es ist von selbst kaputtgegangen!".

Aber ist eigentlich ihre Geschichte bisher so wenig bekannt geworden?
Es ist eine Geschichte, die vielen Menschen in Schlüsselpositionen an vielen verschiedenen Orten Schwierigkeiten bereiten würde.

Ich nehme also an, dass auch die Irische Zentralbank nach der Rettungsaktion für die irischen Banken bei Ihnen nicht mehr weiter nachgefragt hat, was damals eigentlich passiert war?
Das ist nicht ganz so, wenn ich bekam tatsächlich zweimal von dort einen Anruf. Das erste Mal im Monat Mai 2011. Sie luden mich damals als Informanten ein, meine Informationen offenzulegen und boten dafür volle Vertraulichkeit an. Aber mein Treffen mit den Vertretern der Zentralbank endete in einem Fiasko. Die Vertraulichkeitsklausel in der mir angebotenen Vereinbarung bezog sich nämlich lediglich auf meine Anonymität. Man erklärte mir während des Treffens, dass die Zentralbank verpflichtet sei, alles, ich sagte, der Staatsanwaltschaft zu melden, was implizit bedeutete, dass alles was ich sagen würde, von den Behörden letztlich auch gegen mich verwendet werden könnte. Natürlich verweigerte ich daraufhin eine weitere Aussage. Das zweite Mal war im Februar 2012. Auch wenn wir bei der Vertraulichkeitsklausel keinen Schritt weitergekommen waren, wirklich damals durchaus bereit gewesen, einige meiner Informationen preiszugeben. Bei diesem zweiten Treffen räumten die Beamten der Irischen Zentralbank ein, dass ihnen weitere Unregelmäßigkeiten bei meiner Bank bekannt geworden wären. Aber mein anfänglicher Enthusiasmus aufgrund dieses Zugeständnisses erwies sich bald als verfrüht. Im Juni 2012 wurde der Fall nämlich als abgeschlossen erklärt. Im August 2012 gab die Irische Zentralbank dann eine Presseerklärung heraus, welche eine Niederschrift der Aussagen während unseres Treffens sein sollte. Allerdings stand dort keinesfalls das drinnen, was tatsächlich gesagt worden war.

Welche Beziehung unterhalten sie heute mit ihrer ehemaligen Bank?
Ich unterhalte keinerlei Beziehung mit ihr. Ich hatte Schadenersatz wegen meiner faktisch bedingten Kündigung begehrt. Die Antwort der Bank war, dass ich gar nichts bekommen würde und dass man gegen mich alle juristischen Mittel ergreifen würde, sollte ich jemals irgendwelche Informationen an Dritte weitergeben. Ich versichere Ihnen, dass es nicht lustig ist, von einer Bank, die über Billionen Euro verfügt, bedroht zu werden! Sie haben sogar Angaben aus meinem Privatleben herausgegriffen, um damit zu argumentieren, ich wüsste gar nicht, wovon ich rede, weil ich angeblich geistig verwirrt sei!

Haben Sie ein Gerichtsverfahren gegen Ihre ehemalige Bank eingeleitet?
Es war für mich unmöglich, alleine schon aus finanziellen Gründen, als Privatmann ein Gerichtsverfahren gegen eine große Bank einzuleiten. Zudem hätte ja, bevor ich irgendetwas gegen eine Billionen- Euro-Bank Unternehmen hätte können, die "Polizei" (in diesem Falle also die Finanzaufsichtsbehörde) feststellen müssen, dass überhaupt ein "Verbrechen" stattgefunden hat. Wenn aber die Polizei selbst sagt, dass gar kein Verbrechen vorliegt, wie soll man dann gegen einen Verbrecher vorgehen? Um aufzuzeigen, dass es in meinem Fall die Staatsgewalt selber war, die Beweise unterschlagen hat, muss ich mich an eine höhere europäische Behörde wenden. Ich muss also wohl oder übel darauf warten, bis die berühmten Pan-Europäische Finanzaufsichtsbehörde ins Leben gerufen wird.

Und Sie wollen dann tatsächlich ein Verfahren einleiten?
Ja, das habe ich an sich vor. Aber ob es dann dazu kommt oder nicht, werde ich erst entscheiden, wenn die Zeit dafür gekommen ist.

Auch wenn sie selbst bisher keine Rechtfertigung erfahren haben, glauben Sie, dass das Banksystem nach dem Ausbruch der Bankenkrise doch ein neues Regelwerk gestärkt wurde? Oder dass sich zumindest die Effizienz der Regulierungsbehörden verbessert hat?
Nein. Warum sollte sich irgendetwas ändern, solange die Banken und ihre Manager nicht bestraft werden? Es wir zwar demnächst ein neues Regelwerk für den Bankenmarkt geben, die sogenannte Basel-IV-Vereinbarung. Aber solange die gesetzlichen Vorschriften nicht auch in gehöriger Form exekutiert werden, können wir so viele "Basel-Vereinbarungen" abschließen, wie wir wollen, ohne dass sich etwas ändern würde.

Wäre es Ihrer Meinung nach möglich, dass das System, wie Sie es hier beschrieben haben, sich zum Besseren kehrt, wenn mehr Whistleblower so wie Sie auftreten würden?
Ja. Aber von meinem eigenen Fall ausgehend, glaube ich nicht, dass es künftig mehr Whistleblower geben wird. Es gibt für sie keinerlei staatlichen Schutz. Ich wurde beispielsweise nur von meinen Freunden oder von Menschen unterstützt, die von irgendwo her meine Geschichte erfahren hatten.

Hat sich Ihr Wertesystem aufgrund Ihrer Erfahrung verändert?
Ich habe heute mehr Vertrauen in die Menschheit und viel weniger in die etablierten Autoritäten, egal ob das Politiker, Richter oder Funktionäre sind. Wir, die einfachen Leute, nehmen einfach alle diese Leute viel zu ernst, die in Wirklichkeit nichts tun, um die kleinen Anleger die kleinen Steuerzahler zu schützen. Das einzige, wofür sie sich einsetzen, ist die Rettung der Banken.

Sie klingen wie ein enttäuschter "Golden Boy", der sich jetzt gegen das kapitalistische System wendet.
Ich denke, das ist kein Diskussionsthema. Ob ich für den Kapitalismus, für den Sozialismus oder für die Linken bin, hat nichts mit der Diskussion zu tun, die wir eben führen. Überhaupt sollten wir keine Ideologien des 19. Jahrhunderts strapazieren, um damit einer Krise des 21. Jahrhunderts Herr zu werden. In Irland haben wir im Moment eine sozialistische Regierung, die ihre Aufgabe darin sieht, die monetären Interessen der kapitalistischen Anleihegläubiger zu wahren. In Österreich war es andererseits die FPÖ, also eine ausgesprochen rechte Partei, die meinen Fall in das Parlament gebracht hat. Sehen Sie hier irgendeinen ideologischen Hintergrund?

Sie sind also gegen das gegenwärtige Finanzsystem?
Dies wäre eine interessante Frage, wenn wir dieses Interview als eine philosophische Diskussion führen würden; aber diese Frage ist im Augenblick überhaupt nicht relevant. Man kann ein Kilo Olivenöl gegen ein Fernsehgerät eintauschen, und ich habe so etwas sogar mit meinen eigenen Augen gesehen - es funktioniert also. Umgekehrt bedeutet das aber nicht, dass sie in Tauschhandel mit Olivenöl zu jedem beliebigen Zeitpunkt beispielsweise ein Smartphone bekommen können. Dazu bedarf es eben einer gemeinsamen "Währung". Wir kehren somit zum Ausgangspunkt dieser Diskussion zurück. Entweder es gibt gesetzliche Vorschriften und diese werden eingehalten, oder es gibt diese nicht und jeder tut, was er will. Wenn letzteres der Fall ist, dann sollte das wenigstens jedem bewusst sein.

Was könnte also ihrer Meinung nach dazu beitragen, ein solides Finanzsystem zu schaffen?
Ganz einfach, in dem die Banken sich an das Gesetz hielten.

Erinnern Sie sich an den Tag, an dem Sie Ihre Kündigung einreichen?
Ich konnte die ganze Nacht davor fast nicht schlafen. Vielleicht haben wir in der Zwischenzeit das Gefühl verloren, wie viel Geld eine Milliarde Euro ist, aber bis zu jenem Tag musste ich jeden Tag meine Unterschrift Unterbeträge in dieser Größenordnung setzen; mit der Einschränkung bloß, dass sie in der Wirklichkeit gar nicht existierten! Ich war traurig, aber gleichzeitig fühlte ich mich erleichtert, dass ich nicht mehr länger Komplize bei einem Finanzverbrechen sein musste. Der Geschäftsführer wollte mich zwar nochmals umstimmen, aber das wirkte bei mir nicht. Auch er stand unter enormen Druck aus dem Dealing Room, wo unsere Händler riesige Transaktionen per Knopfdruck abschlossen, so dass es am Ende die Geschichte einfach nur darum ging: "Entweder ich oder sie!"

Und wie verlief Ihre Karriere danach?
Ich begann der schon kurze Zeit nach meiner Kündigung mit der Suche nach einem neuen Job. Aber die Bankenwelt ist letztendlich eine ganz kleine Welt. Mir wurde gesagt, dass eine Person mit meinem Hintergrund keinen Job bei einer anderen Bank mehr finden würde. Das war nur sechs Monate, nachdem ich bei UniCredit gekündigt hatte. Kündigung und noch dazu ein Whistleblower, ein Informant! Das war einfach zu viel.

Wie haben die Menschen, die Ihnen nahestanden, darauf reagiert?
Es gibt ein paar Freunde, die die ganze Zeit zu mir gehalten haben. Im Jahr 2007 konnte natürlich noch niemand vorhersagen, wie sich die Dinge entwickeln würden; damals haben die meisten Leute mir wohl noch nicht geglaubt. Erst nachdem sie hörten und es in Fernsehberichten sahen, die Bankenrettungsaktion anlief, war Ihnen klar, nicht gelogen hatte.

Und wovon leben sie heute?
(Lacht:) "With a little help from my friends", wie es in dem Beatles-Song heisst. Ich helfe Freunden mit Beratungsdienstleistungen und ich halte Vorträge. Man hat mir auch vorgeschlagen ein Buch zu schreiben. Wir werden ja sehen, ob sich dieses Projekt realisieren lässt. 

Ich nehme einmal an, dass sich ihr Lebensstil gegenüber früher drastisch geändert hat?
Ιch will hier nicht auf Details eingehen, was mein persönliches Leben und die psychologischen Schwierigkeiten betrifft, die ich ertragen musste. Aber meine finanzielle Situation ist im Augenblick tatsächlich ziemlich schwierig. Wie ich schon sagte, wäre ich heute nicht hier ohne die Hilfe meiner Freunde. Nur deshalb kann ich Ihnen heute in diesem tollen Haus, dem King George Palace Hotel am Syntagma-Platz, dieses Interview geben und meinen Kaffee genießen. Vor ein paar Jahren bin ich öfters im Urlaub in dieses Hotel gekommen. Heute gibt es hier nur wenige Orte, ich mir leisten könnte ... am ehesten noch eine Bed & Breakfast-Pension.

Tut es Ihnen nicht leid, dass Sie aus der Bankenwelt ausgestoßen wurden?
Früher hatte ich nach irischen Verhältnissen sehr gut verdient. Ich hatte ein schönes Haus, ein schönes Leben. Ich pflegte in teuren Restaurants zu essen. Ich machte viele Reisen. Aber ich würde niemals meine Überzeugungen gegen ein Leben in Luxus eintauschen. Leider es ist aber heute so, dass viele Menschen offenbar dazu bereit sind, ja sogar alle Anstrengungen dafür unternehmen, die Zukunft ihrer Kinder für eine Gegenwart von fragwürdigem Luxus zu opfern. Ich kann und werde dabei nicht mitmachen.

Was macht Sie heute betroffen?
Eigentlich ist es die Trägheit der gebildeten Mittelschicht, die mich betroffen macht. Die reichen Bankiers wissen natürlich ganz genau, was los ist, und lachen sich den Buckel voll, während die Mittelschicht dafür arbeitet, um ihren Interessen zu dienen. Risiskomanager, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, alle diese Leute behaupten, sie würden hart arbeiten, während sie in Wirklichkeit Nichtstuer sind - moralisch wie auch intellektuell. Das gleiche gilt für die Professoren für Recht und Wirtschaft. Wo gibt es denn heute noch konstruktive Kritik? Dieses Nichtstun, die Dinge auf sich beruhen lassen, ist mittlerweile so zur Gewohnheit geworden, dass überhaupt nur mehr sehr wenige Menschen erkennen, warum es hier eigentlich geht.


Wir danken dem Management des King George Palace Hotel in Athen für die Bereitstellung von Räumlichkeiten für dieses Interview.